Medienwerkstatt-Wien
 
Gustav Deutsch
Ernst Kopper
Wilhelm Gaube
Thomas Grusch
Hannes Böck
René Weissinger

TERRITORIEN
von Constantin Wulff

Gedreht in Niederösterreich. Im Wein-, Wald- und Industrieviertel. Drei dokumentarische Arbeiten aus den Jahren 1982, 1996 und 2006: Beispiele aus den letzten drei Jahrzehnten für ein Kino des Realen, das ländliches Leben veranschaulicht ohne gängige Klischees zu wiederholen.

Ein intensiver Blick auf die alltäglichen Lebenswelten abseits der Metropolen: ein Unterfangen, das nicht nur in den letzten Jahrzehnten, sondern bis heute nur allzu selten unternommen worden ist. In vieler Hinsicht stellen die drei ausgewählten Filme deshalb Ausnahmen dar: sie sind Skizzen für eine angemessene audiovisuelle Topographie einer Region (in diesem Fall: im Bundesland Niederösterreich). Was die drei rund halbstündigen Dokumentarfilme bei aller Unterschiedlichkeit verbindet, ist ihre künstlerische Autonomie. Die drei Werke sind nicht das Resultat institutioneller Überlegungen, sondern sie sind Ergebnis von persönlicher Auseinandersetzung mit Menschen, Landschaften, Alltagswelten. Die drei Dokumentarfilme tragen aus diesem Grund ganz eigenständige Handschriften, mit jeweils deutlichen Vorbildern: in Rituale (1982) von Gustav Deutsch und Ernst Kopper sind es die Ideen einer Gegenöffentlichkeit der 1970er Jahre und die Bewegung des politisch motivierten Video-Dokumentarismus; Wilhelm Gaubes Symposion Lindabrunn (1995) denkt die Utopien der 1960er Jahre, als die Kunst engagiert begann aufs Land zu ziehen, in die Gegenwart und gestaltet sie in der Tradition einer soliden, geradezu „öffentlich-rechtlichen“ Dokumentation; Fischbach (2006) von Thomas Grusch und Hannes Böck schließlich prägt neben der grundlegenden Nähe zu den Protagonisten insbesondere die geglückte Reflexion des Mediums – exemplarisch für die enorme Auffächerung der Formen im österreichischen Dokumentarfilm der jüngeren Zeit.
Allen drei Arbeiten ist darüber hinaus gemeinsam: sie haben sich ganz grundsätzlich dem Projekt des Erinnerns und des Bewahrens verschrieben. Allerdings nicht als bloße Archivare, sondern in dezidiert künstlerischer, gesellschaftspolitischer Weise: Sie erhalten und speichern nicht nur vergangene Wirklichkeiten, sondern sie gehen über das standardisierte Registrieren hinaus: Rituale, Symposion Lindabrunn und Fischbach sind filmische Dokumente und dokumentarische Filme zugleich, indem die drei Filme Analyse, Erzählung und Formbewusstsein ins Spiel bringen. Ihnen gelingt, neben vielen anderem, das Kunststück, ein vitales Gedächtnis herzustellen, das nicht zuletzt darauf hinweist: Wie sehr audiovisuelle Medien unsere Vorstellung von Geschichte beeinflussen. Die Beziehung von Gegenwart und Vergangenheit.
 
Ausschnitt aus

RITUALE
Gustav Deutsch und Ernst Kopper
A 1982, 35 min, s/w

Im Weinviertel, Bezirk Hollabrunn. Das ländliche Leben als Abfolge öffentlicher Ereignisse: Maifeste, Feuerwehrfeste, Kirchweihfeste. Eine Serie von Festlichkeiten, Umzügen, Versammlungen. Marschieren, Reden, Herumstehen, Singen, Tanzen. Die Aufnahmen sind im Rahmen eines quasi-ethnographischen Videoprojekts zwischen Herbst 1980 und Frühjahr 1982 entstanden und dokumentieren die Lebenswelten einer niederösterreichischen Agrarregion. Formales Prinzip ist das Serielle: die Wiederholung unterstreicht das Rituelle der Ereignisse und der Blick für das Detail wird geschärft. (cw)

 
Ausschnitt aus

SYMPOSION LINDABRUNN
Wilhelm Gaube
A 1995, 39 min, Farbe,

Am Rande des Wiener Beckens, im Bezirk Baden: in Lindabrunn hat jährlich von 1967 bis 1997 ein internationales Bildhauersymposion stattgefunden. Initiator und viele Jahre treibende Kraft war der Bildhauer Mathias Hietz (1923-1996), er ist es auch, der durch Wilhelm Gaubes filmisches Symposionsportrait führt. Gaube macht in sympathisierender Weise den Reiz und die Vitalität der Veranstaltung deutlich, zeigt neben der künstlerischen Arbeit, auch die kommunikativen und geselligen Aspekte des grenzüberschreitenden Treffens und setzt den wild wuchernden Skulpturenpark ebenso effektvoll in Szene wie das Geschehen im Steinbruch. (cw)

 
Ausschnitt aus

FISCHBACH
Thomas Grusch, Hannes Böck, René Weissinger
A 2006, 25 min, Farbe

Chronik einer Waldviertler Glasschleifermanufaktur. Zugleich eine Familiengeschichte. Exemplarisch und schicksalhaft erleben Familie und Manufaktur die Höhen und Tiefen der österreichischen Nachkriegsökonomie: Der Betrieb expandiert und erlebt in den 1970er Jahren seine Blüte. Die großen Jahre sind ein Leben auf der Überholspur, vor allem für das Familienoberhaupt. Dann kommt die Krise und das Kristallglas bleibt in den überfüllten Lagern, der Patriarch gerät ins Wanken. Die Erinnerung gehört der Tochter: Aus dem Off erzählt Eleonore Weissinger, die aktuellen Bilder des Ortes und die stillgelegte Manufaktur geben ihr den Raum dafür. (cw)