Medienwerkstatt-Wien

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Zum März 38
von Siegfried Mattl

Ausgangsmaterial des Films „Zum März 38“ sind drei Filmdokumente, die auf die Tage des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 fokussiert sind. Hierbei handelt es sich um zwei Amateurfilme - „Ha-Wei“, „NSKK I (Hitlereinmarsch in Purkersdorf)“ - und den zur Volksabstimmung vom 10. April 1938 produzierten NS-Propagandafilm „Ein Volk - Ein Reich - Ein Führer“.

Erst seit kurzem sind private Filme als erstrangige Träger von Erinnerung entdeckt und der Archivierung, Erschließung und öffentlichen Vorführung zugänglich gemacht worden. In ihrer rohen Form, als „missratene Figuren“ im Sinne der Filmästhetik, widersprechen sie oftmals dem Kanon der überlieferten Bilder der Vergangenheit wie den tradierten Erzählungen; manchmal irritieren diese Filme auch bloß deshalb, weil ihr narrativer und dramaturgischer Mangel den Betrachter zu geradezu detektivischer Interpretationsarbeit zwingt. Der Einsatz ist beide Male ein Einsatz in einem Spiel zwischen (scheinbarem) Fremdem und (scheinbarem) Vertrautem - eine Grauzone, in der die Grenzen der kollektiven Vorstellungskraft ausgelotet werden müssen.

Um 2006/07 gelangte der Amateurfilm „Ha-Wei“ über Vermittlung eines österreichischen Filmemachers in das Archiv des Österreichischen Filmmuseums. Es handelt sich um einen Flohmarktfund. Der Autor oder die Autorin dieses 16mm-Films sind bislang unbekannt, wahrscheinlich stammt er aus dem Besitz einer Hoteliers-Familie, die in Wien einen Betrieb führte. Der Titel „Ha-Wei“ ist ein provisorischer Archiv-Titel, der aus einer ersten Identifizierung des Schauplatzes Hadersdorf-Weidlingau hergeleitet worden ist. Die Gesamtlänge des Films beträgt dreizehn Minuten. Dies lässt bei Berücksichtigung des zeitgemäß üblichen Amateurfilm-Materials Rückschlüsse auf die Verwendung von sechs oder sieben Filmrollen zu, die offensichtlich in linearer Abfolge montiert worden sind. Bildaufbau und Sequenzfolgen deuten weiters auf ein Anhalten des Films in der Kamera auch über einen längeren Zeitraum hin. Eindeutig zu datieren ist allerdings die erste Sequenz des Films: Man schreibt den 14. März 1938 und Adolf Hitler befindet sich auf seiner Triumphfahrt in offener Limousine nach Wien. Hadersdorf-Weidlingau, das sieben Monate später dem nationalsozialistischen Groß-Wien eingegliedert werden wird, ist in der Erwartung des „Führers“. Die erste Einstellung des Films erfasst das Landhaus der Familie, das mit einer Hakenkreuzfahne geschmückt ist. Der Zeitpunkt zu dem Hitlers Konvoi Hadersdorf-Weidlingau passieren wird ist offensichtlich nicht exakt geplant. Als es soweit ist verhindern ein schlechter Kamerastandort und das Tempo der Fahrzeuge eine vollständig gelungene Aufnahme. Dafür zeigen die ersten eindreiviertel Minuten den 14. März als Tag des Wartens: wartende Militärfahrzeuge, wartende Gendarmen, auf- und abgehende Offiziere, ein paar wartende Dorfbewohner in der Hadersdorfer Durchzugsstraße. Solche Bilder des Wartens an der Kippe zur Langeweile finden sich des Öfteren in Amateurfilmen aus dem März 1938, ebenso wie die kompensatorischen Bemühungen, denen wir in „NSKK I Hitlereinmarsch in Purkersdorf)“ begegnen werden, durch eigene Mobilität - notfalls mit dem Motorrad - so viele Ereignisse an so vielen Plätzen wie nur möglich einzufangen. „Ha-Wei“ wendet sich für die folgenden acht Minuten aber von der Aktualität ab und dem Alltag der eigenen Familie zu. Eine die Aufmerksamkeit steuernde Faszination geht dabei von jener älteren Frau aus, die sich sukzessive und auf gelassene Art den Bildraum erobert. Man sieht sie bei den verschiedenen Tätigkeiten im Garten und im Gewächshaus des Anwesens, beim Herumscherzen mit jüngeren Frauen, die sie umgeben, bei der Bewirtung des Familienbesuchs und beim Herzen der Katzen und Hunde des Hauses. Fast immer hat sie eine Zigarette im Mundwinkel die sie auf „männliche“ Art - im Vergleich zu den Gesten rauchender Frauen aus den Spielfilmen und Werbeplakaten der Zeit - raucht. Dieses Changieren zwischen den Geschlechterrollen wird unterstrichen oder überhöht durch ihren extremen Kurzhaarschnitt ähnlich dem Mode-Code amerikanischer lesbischer Frauen der 1930er Jahre. Die ihr gewidmeten Sequenzen, die den ersten Teil von Eva Brunner-Szabos filmischem Triptychon bilden, dementieren geradezu die martialischen Bilder vom Beginn des Films und lassen eine mögliche Normalität sichtbar werden, die vor dem Hintergrund der exaltierten Massenästhetik des Nationalsozialismus die Unterscheidung von Verweigerung gegenüber dem Regime und Verstrickung durch Weiterführung des gewöhnlichen Lebens komplizieren.

„NSKK I (Hitlereinmarsch in Purkersdorf)“ führt auf einen anderen Weg; wenngleich der Film nicht weniger an Ambivalenzen aufrührt. Dieser Film wurde dem österreichischen Filmmuseum 2009 von der Familie Hohenberger-Bandera gemeinsam mit einigen anderen Filmen - u.a. „Eine Fahrt in´s Blaue/ Budapest (Gewerberundreise) Mai 1936“; „NSKK II (Spendenaktion)“ - übergeben. Im 9.5mm Format und bei sieben Minuten Laufzeit bietet das Dokument ein Panorama der ersten „Anschluss“-Tage in Wien und in Purkersdorf aus der Perspektive eines Mitglieds des NSKK, des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps. (Auch hier handelt es sich wiederum um einen Archiv-Titel.) Klemens Bandera entstammte einer Ottakringer Rauchfangkehrerdynastie. Als leidenschaftlicher Motorist gilt seine Aufmerksamkeit zunächst der Veränderung in den Straßen Wiens und der Prägung des Stadtbildes durch die Fahrzeuge der deutschen Wehrmacht. Von der Position des stationären Beobachters an der Ringstraße wechselt Bandera im Folgenden zu einem ausgedehnten phantom-ride im Pulk nationalsozialistischer Motorrad- und Autofahrer über, die Propagandafahrten durch die Mariahilfer und andere Wiener Straßen veranstalten. Den Höhepunkt des Filmes bilden allerdings Aufnahmen (meist in der Halbtotalen) vom 14. März 1938 in Purkersdorf - sozusagen der Vor-Schauplatz zu den Sequenzen in „Ha-Wei“, doch dieses Mal ein tatsächlich spektakuläres Raumbild. Das bereits zuvor erwähnte Warten löst sich in Purkersdorf in ein Volksfest auf, das der Dramatik der Situation zu widersprechen scheint. Damen im Pelzmantel schäkern mit Wehrmachtssoldaten. Diese laben sich an Bier, das sie offenkundig geschenkt bekommen haben, und treiben ihren etwas derben Spaß. Die herumlungernden Soldaten der verschiedenen Waffengattungen werden präsentiert als handle es sich um eine Art bizarre Modeschau, wofür nicht zuletzt die sportiven Kappen der Panzerfahrer einstehen. Die weiteren Sequenzen vor und während der Durchfahrt Hitlers machen sichtbar, wie wenig die März-Tage mit dem Ordnungsbild zu tun hatten, um das sich die offiziellen Bildberichterstatter bemühten. Ein Karneval mit dem bekannten dämonischen Ausgang.

Der Erfolg - oder vorsichtiger gesagt: die Effizienz - des „Anschlusses“ hing nicht nur von militärisch-politischen Mitteln ab. Die NS-Führung setzte ebenso strategisch auf die Kontrolle der Bilder mittels der Verklammerung von Massenornament (Aufmärsche, Paraden, Angelobungen) und Filmpolitik (Wochenschauen, UFA-Dokumentarfilme). Die Avantgarde hat sich retrospektiv in immer neuen Versuchen an dieser Macht und an deren Brechung versucht. (1) Wenn Eva Brunner-Szabo die beiden Amateurfilme zu einander in Bezug setzt und damit zunächst ein Wechselbild von Affekten erzeugt, das nochmals eine andere Perspektive entfaltet als die NS-Eigendokumente (2), so lässt sie den Betrachter doch nicht ohne ein vermittelndes drittes Bild. „Ein Volk - Ein Reich - Ein Führer“, die pathetisch-hysterische offizielle „Tonwochenschau“, führt beide Filme nochmals an die überdeterminierte, glatte und pseudo-messianische Repräsentation des „Anschlusses“ heran, die wegen ihres signifikanten Bildmaterials nach 1945 eine labyrinthische Fortexistenz in den Medien gefunden hat. Die Wirksamkeit der Propagandafilme wird beklemmend entfaltet, insofern das visuelle Zeichen für unsere Erinnerung gar nicht mehr notwendig ist und Brunner-Szabo mit einem Tonspur-Fragment auskommt, das sie dem dritten Akt ihres Filmes unterlegt. Das akustische Bild alleine schon droht die Vorstellungskraft auf ein Merkbild zurück zu werfen.


(1) Siehe Drehli Robnik: Schatzi und Abfall. Nationalsozialismus im österreichischen Found-Footage-Film, in: Zeitgeschichte, 35.Jg., Heft 1, Jänner / Februar 2008, S. 56 - 66

(2) Mit Bezug auf einen breiteren Korpus von Amateurfilmen liest man bei Hans Petschar: Anschluss. Eine Bildchronik, Wien 2008, S. 15: „Szenen und Orte tauchen auf, die bereits bekannt sind, die sich mit vorhandenen Fotografien und Wochenschaubildern vergleichen lassen, und die dennoch einen ganz anderen Eindruck vermitteln (...) weil die Propaganda und ihre bildliche Inszenierung nicht die Haupt, sondern eine Nebenrolle spielt ...“

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