Buben
Bubenwallfahrt nach Maria Kirchbühel
von Siegfried Mattl
Ausgangsmaterial für Dariusz Kowalskis Film „Buben“ ist ein anonymer Amateurfilm mit dem Archivtitel „Bubenwallfahrt nach Maria-Kirchbühel“. Dieser Film im Format 9,5mm und von dreizehn Minuten Dauer kam 2007 gemeinsam mit drei anderen Filmen als Schenkung des Instituts Neulandschule an das Österreichische Filmmuseum. Er dokumentiert Gemeinschaftsaktivitäten katholischer Jugendlicher um 1940.
Der Film ist eine Kompilation von Aufnahmen unterschiedlicher Tätigkeiten (Spiele, Wanderungen) und Gruppen. Wie oft bei Amateurfilmen stellt die nicht-lineare und nicht chronologische Zusammenführung einzelner Sequenzen ein erhebliches Problem für die Lesbarkeit des Filmes dar. Untertitel geben allerdings einen wichtigen Hinweis zur Identifizierung distinkter Handlungsstränge, Schauplätze und Zeitpunkte. Danach lassen sich zumindest fünf unterschiedliche Ereignisse bestimmen: eine herbstliche „Bubenwallfahrt nach Maria-Kirchbühel“ - gemeint sein muss Maria-Kirchbüchl / Groß Höflein an der Hohen Wand; ein „Bubeneinkehrtag in Katzelsdorf“; eine Gruppe älterer Jugendlicher bei Spiel und Sport in einem Schloß- oder Guthofs-Park; ein Schiurlaub „Christfahrt 1940“; eine Kinder-Sommerwanderung zur Ruine Aggsbach. Der unterschiedliche Stil der Aufnahmen legt die Annahme nahe, dass hier Filme zumindest zweier Amateure kompiliert worden sind. („Christfahrt 1940“ erweist sich mit ungewöhnlichen Kamerapositionen und Zeitlupeneinsatz zur Erfassung der Bewegungsabläufe von Schiläufern und Schispringern als ästhetisch ambitioniert; das Vorwiegen der Totale ebenso wie die gerafften Nahaufnahmen zur Vorstellung der Gruppenmitglieder weisen den Autor von „Bubeneinkehrtag in Katzelsdorf“ als stärker fotografisch orientierten Amateur aus.) Aus der Montage lässt sich schließen, dass der Film zumindest ein Mal überarbeitet worden ist. (1) In der heute vorliegenden Form spiegelt sich die dominante Funktion wieder, ein privates Erinnerungsbild an „glückliche Momente“ einer organischen Gruppe festzuhalten. Der Teil „Bubeneinkehrtag in Katzelsdorf“ spricht allerdings wegen seiner kommentierenden Zwischentitel auch für die Annahme, dieser Film sei an eine größere Gemeinschaft adressiert gewesen.
Dariusz Kowalski hat Sequenzen aus dem „Bubeneinkehrtag in Katzelsdorf“ und aus der nicht betitelten Wanderung zur Ruine Aggsbach ausgewählt. Die kindlichen Kampfspiele aus dem einen, die Ruinenlandschaft aus dem anderen Filmdokument generieren einen Subtext, in dem die vermeintliche Unschuld der Kinder das Szenario von Krieg und Verwüstung in sich trägt. Im Kontext der Zeitgeschichte wird zwar die anti-nazistische Funktion des Filmdokuments deutlich, ohne indes die Ambivalenz der Bilder selbst ganz auflösen zu können, handelte es sich in bestimmtem Sinne doch um eine doppelte Prägung katholischer Jugendbewegung durch ihre „bündische“ Tradition auf der einen und die Konkurrenz durch die Hitler-Jugend andrerseits.
Der Nationalsozialismus sah im Katholizismus einen seiner Hauptgegner in Österreich. Zahlreiche Gesetze schränkten deshalb die Stellung der Kirche in der Familien- und Erziehungspolitik ein. Von großer Bedeutung war die Auflösung des breit gefächerten und partikularistischen katholischen Vereinswesens, das sich weit in die Freizeit auch von Jugendlichen (Sport-, Wander-, Kulturorganisationen) erstreckt hatte und mitunter nur lose Beziehungen zur Religiosität unterhielt. Aus den Schulen verdrängt und ohne das Vorfeld der Vereine war die kirchliche Seelsorge auf die Pfarren zurück gedrängt und musste sich von diesen aus reorganisieren. Die erzwungene, von manchen kirchlichen Stellen allerdings nicht ungern gesehene Konzentration auf das spirituelle Moment religiöser Erziehung zeigte allerdings Schwachstellen. Die herkömmlichen Disziplinierungsmittel im engeren kirchlichen Bereich gegenüber Kindern und Jugendlichen versagten angesichts der Konkurrenz der Hitler-Jugend und des unentwegten Drucks der Nationalsozialisten auf Jugendliche und Eltern, die Kirche zu verlassen. Deshalb mussten die „bündischen“ Züge, das heißt die von der autonomen Jugendbewegung wie den „Wandervögeln“ seit der Jahrhundertwende ausgehenden Sozialisationsmethoden (Wandern, Spiele, Laientheater) forciert werden. Von der Hitlerjugend und der Gestapo wurden solche Aktivitäten allerdings verfolgt, da sie das Monopol nationalsozialistischer Jugenderziehung in Frage stellten. In einer kurz nach dem Krieg erschienenen Publikation zum kirchlichen Widerstand hieß es dazu: „Sportliche Betätigung und Spiel mussten so gut wie ganz unterbleiben, das Wandern konnte nur mehr in sehr eingeschränktem Maße unter dem Titel von Wallfahrten und ähnlichem gepflegt werden ...“. (2)
Während die Amtskirche bestrebt war einen offenen politischen Konflikt mit dem Regime zu vermeiden, setzten sich Seelsorger und katholische Jugendliche schon durch den bloßen Versuch der Selbstorganisation dem Risiko der Verfolgung aus.(3) Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist einer der weiteren Film aus der Schenkung des Instituts Neulandschule (4) an das Österreichische Filmmuseum: Die Dokumentation einer Dankes-Wallfahrt von Jungpriestern nach Mariazell beginnt mit einer Außenaufnahme des Wiener Landesgerichts, in dem der Filmautor, wie ein Insert informiert, mehrere Monate inhaftiert gewesen war. Filmästhetisch werden in solchem Zusammenhang die bereits erwähnten kurzen Porträtaufnahmen der Jugendlichen interessant: In einer Zeit der Uniformierung und des nationalsozialistischen Typen-Ideals stehen sie quasi für Individualität und persönliche Integrität ein.
(1) Die Aufnahmen vom Einkehrtag sind auf zwei auseinander liegende Stellen verteilt, ein Mal eingeleitet mit dem Titel „Bubeneinkehrtag (...)“, das zweite Mal mit „Vom Bubeneinkehrtag (...). Die einheitliche Typographie der Zwischentitel zeigt allerdings an, dass es sich ursprünglich um ein einziges Dokument gehandelt haben muss.
(2) vgl. Karl Rudolf: Aufbau im Widerstand. Ein Seelsorgebericht aus Österreich 1938 - 1945, Salzburg 1947, S. 239
(3) vgl. dazu allgemein Maximilian Liebmann: Katholischer Widerstand - der Umgang mit Priestern, die aus den KZs zurückkamen, in: Stefan Karner / Karl Duffek (Hg.): Widerstand in Österreich 1938 - 1945, Graz / Wien 2007, S. 39 - 51
(4) Der „Bund Neuland“ ging aus dem „Christlich-deutschen Studentenbund hervor. Ursprünglich antisemitisch ausgerichtet war der Bund der erste katholische Verein der die Unvereinbarkeit einer Mitgliedschaft bei den Nationalsozialisten aussprach. Nach 1945 wurde der „Bund“ ein wesentlicher Träger für die Aussöhnung der Kirche mit der Moderne.