Medienwerkstatt-Wien

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NIEDERÖSTERREICH niederösterreich Niederösterreich … …
von Michael Omasta

Mal triumphierend und mal beschwörend, mal heiter und mal feierlich, insgesamt 16 Mal erschallt im Stakkato der Name des besagten Bundeslandes und stimmt auf die hier versammelten Kurzfilme ein: vier Auseinandersetzungen mit historischem Filmmaterial über Niederösterreich, vier künstlerisch individuelle Zugänge – vier POSITION-N.

Manfred Neuwirth formuliert in „Wachau“ einen Dokumentarfilm über die Weinlese neu, indem er 15 Momente aus dem Original isoliert, extrem verlangsamt und in vierfacher Ausführung streng symmetrisch auf dem Bildschirm anordnet. Nach und nach – links unten, links oben, rechts oben, rechts unten – blendet das Bild sanft auf, bis es kurz auf allen vier Positionen zu sehen ist, um dann in selber Reihenfolge ebenso sanft wieder auszublenden.

Es ist, als schlage das Kino die Augen auf, und man sehe den Film zum ersten Mal richtig: die schwere Hand am Steuer des hölzernen Kahns, der Mann im Weinberg, die nackten Füße einer Frau, die einen Bottich trägt, eine alte Pistole, die abgefeuert wird, das steinerne Tor auf einem Hügel, das ausschaut wie aus einem Italo-Western … Am liebsten würde man Neuwirths kongenialem Sounddesigner zurufen: Spiel mir das Lied vom Tod, Fennesz!

Aus verschiedenen Privataufnahmen speist sich die letzte Arbeit der 2012 verstorbenen Medienkünstlerin Eva Brunner-Szabo, aus deren unvollendeten Projektskizzen Gerda Lampalzer den Film „zum März 1938“ montiert hat. Man sieht zwei Frauen im Garten und bei der Hausarbeit, wie sie offenbar letzte Vorbereitungen für die Feiertagsjause treffen. Schon trifft die Verwandtschaft ein, ältere Damen mit imposanten Hüten und bester Laune – indessen Hakenkreuzfahnen, mit leichter Artillerie beladene Lastwagen und eine Menschenmenge, die den Straßenrand säumt, von der Ankunft eines anderen „Besuchs“ künden.

Ein schöner, sonniger Tag war dieser 13. März 1938, ganz anders, als man sich jenen „Schicksalstag“ heute gemeinhin so vorstellt. Überall ausgelassene Sonntagsstimmung. Dann setzt, Halbzeit des Films, plötzlich Ton ein – jubelnde Menschen, ferne Musik, schließlich der schnarrende Kommentar der zeitgenössischen Wochenschau, der vom „Anschluss“ berichtet und vom „Triumphzug des Führers“ von Linz nach Wien –, und zwischen die Schwarzweißaufnahmen drängen sich im Laufen mit subjektiver Kamera aufgenommene Bilder von Füßen, so, als versuche eine Frau (die Filmemacherin) in orangerotem Kleid dem ganzen Wahnsinn davonzulaufen. Ein enigmatisches Bild, das bis zum Schlusstitel immer wiederkehrt – „Das haben wir ja nicht gewußt!“

Mit gleichsam ethnografischem Interesse reduziert Dariusz Kowalski den Amateurfilm von einer „Bubenwallfahrt nach Maria-Kirchbühel“ auf das Wesentliche: nämlich die „Buben“ (so der Titel seiner Bearbeitung), die sich unterwegs mit bizarren Spielen wie „Blinden aufpapperln“, „Alle gegen alle“ oder „Ausbrecher“ die Zeit vertreiben und damit eventuell auch schon das große Kriegspielen einüben.

Nicht selten wirken die Bilder durchaus bedrohlich: eine Burgruine im Gegenlicht, die Buben, mit einem Wimpel bewaffnet, in hartem Kontrast wie ein Scherenschnitt. Dazu kommt noch die Musik von Stefan Németh, ein elektronisches Knistern vor allem, das dieser Bubenwallfahrt auch den letzten Rest der ursprünglichen Lagerfeuerromantik austreibt. Dann, ein Moment großen Kinos, folgen Großaufnahmen der 16 Buben, alle frisch g'schneuzt und kampelt, viele im Trachtenanzug mit Krawatte ... Was mag ihnen später im Leben widerfahren sein?

„Ein Heimatfilm“ heißt Gerda Lampalzers eingangs bereits zitierte Arbeit, für die ein typischer Kulturfilm aus den 1950ern zu 6 Miniaturen sortiert und remontiert wird. Niederösterreich, das Land im Aufstieg, erscheint darin als Da-Da-County, in dem es allerorten rappt, zuckelt und ruckelt und überhaupt die merkwürdigsten Dinge vor sich gehen.

Lampalzer hat ihre Methode des akustischen Kurzschnitts bis zu dem Punkt verfeinert, an dem sich das Ohr bereitwillig täuschen lässt und selbst unverständlicher Nonsense plötzlich neue Sinnzusammenhänge suggeriert. Ein Bild / ist / ein Bild / ein Ton / ist / ein Ton! Zu guter Letzt wird Niederösterreich gar noch Schauplatz eines spektakulären Kriminalfilms: Wagons mit Hilfsgütern aus Kanada rollen an, Geldbündel wechseln den Besitzer, flinke Hände verstauen sie in einer Aktentasche – und schon braust W1, die schwarze Limousine von Bundeskanzler Raab, auf der grad erst feierlich eröffneten Wachau-Straße davon.

So wie es Aufgabe der Poesie ist, die Sprache in der Sprache zu entdecken, ist es jene der Bearbeitung von Found Footage, den Film im Film herauszudestillieren. Diese vier FilmkünstlerInnen wurden dabei tatsächlich fündig.

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